iText
Installationen, bestehend aus verschiedenen Aufzeichnungen der Untersuchung: u. a. Diagramme, Video, Sound, Text
Und ich hab ihr erzählt die guten alten und neuen Jahr und alles was du willst kannst es ja nicht mehr so viel wie ich das richtig sehe das schöne Wetter in der Schublade vorne und dann auch noch machen kann mit den Autoskarten
und ich habe mir das mal erklären
und ich habe mir das mal erklären
und ich habe mir das mal erklären
Die vorliegenden Formate sind Exzerpte einer künstlerischen Untersuchung. Forschungsgegenstand sind Textvorschläge der Eingabehilfe am Smartphone. Nach welchen Algorithmen funktioniert die Software? Und welche neuen Inhalte generiert das Programm durch den Versuch, sich das Vokabular des Besitzers anzueignen? Wie kann man die Algorithmen darstellen und für den Menschen lesbar machen?
Die vom Smartphone imitierten Erzählstrukturen werden, auf der Suche nach Übersetzungen der Algorithmen, mit Hilfe von unterschiedlichen Medien analysiert. Dabei sollen nicht primär Ergebnisse, sondern die Forschung selbst gezeigt werden. Die Rezipientin (1) erfährt sich selbst als Forschende in der Installation und wird Teil der Untersuchung.
Die Texte generierten sich aus dem manuellen Annehmen der Textvorschläge einer Android-Tastatur. Auffällig sind die Zusammenhänge in den Wortketten. Manche Worte hintereinander wirken vertraut und als ob sie korrespondierten, doch in der kompletten Wortfolge ergeben sie keinen Sinn. Weder Syntax noch Semantik sind korrekt. Es sind stets nur Stränge von ein paar Worten, die zusammenpassen und dem Lesenden Kohärenz suggerieren. Jede Texteingabe bildet eine Einheit und ist ein Unikat des Algorithmus – zumindest im Rahmen der Untersuchungen. (2) Die Eingabe wird beendet, sobald der Text sich in sich selbst zu wiederholen beginnt. Denn interessanterweise wird jeder, auf die beschriebene Weise generierte Text, ab einem bestimmten Wort – frühestens aber nach dem zweiten – durch einen zweiten Textteil abgelöst, der sich im Anschluss fortlaufend, an jenem bestimmten Wort beginnend, ins Unendliche wiederholt. Um die theoretisch infinite Fortsetzung der Textschlaufe formal kenntlich zu machen, werden, in Schriftform und als Teil der Installation, die sich wiederholenden Wortkonglomerate dreimal hintereinander gefügt, stellvertretend für die Unendlichkeit.
Um sich einen Überblick über die Systematik der Wortabfolgen zu verschaffen, wurden die Zitate in Mindmaps angelegt. Nicht mit der Absicht den Programmcode zu fassen, sondern aus dem inneren Antrieb, durch das bewusste Nachvollziehen der Abfolgen den fremden Erzählmuster zu folgen und den Algorithmus dadurch zu erleben. Die Formulierungen der Tastatur beginnen mit den wenigen selben Wörtern und, ja, ich, auf die standardmäßig immer gleiche, je zwei bis drei weitere Optionen folgen. Das dritte Wort einer jeden Abfolge ist wiederum eine von mehreren Optionen, die auf die ersten beiden, vom Programm gewählten Möglichkeiten, folgen.
Ja genau ..., Ja und ..., Ja ich ...; Ja genau so ..., Ja genau die ..., Ja genau das ...; ...
In der Mindmap lassen sich die Variationen durch Verästelungen der Wortketten visualisieren. Kongruente Teilstrecken, insbesondere am Anfang der Wortreihen, werden nur einfach dargestellt, erst die Gabelungen stellen die verschiedenen Satzfolgen dar. Unübersehbar ist auch in dieser Übersetzung die teils geringe Variation und die häufige Wiederholung von Teilabfolgen.
Die Abfolge der Smartphone-generierten Texte speist sich aus allgemeinen Wörtern der deutschen Sprache und benutzerspezifischen Eingaben. Auffallend ist das Fehlen einiger gängiger und häufig gebrauchten Eingaben, wie Begrüßungen oder das du. Die Wortwahl des Programms ist schwer zu durchschauen. Mit Hilfe eines Balkendiagramms werden das Auftreten aller Wörter ab Beginn der Aufzeichnung dokumentiert und visualisiert. Ich, und, die treten am häufigsten auf. Der Umfang der Wörter scheint gar nicht mal so groß zu sein, in der Untersuchung zeigt sich nach einiger Zeit, dass mit weiteren Eingaben nur relativ wenig Worte in den Untersuchungskreis neu aufgenommen werden müssen. Die meisten Wörter schlägt das Handy immer wieder vor; es scheint auf einen relativ kleinen Pool für die Auswahl der Vorschläge zurückzugreifen. Das menschliche Gehirn merkt: die Texte ähneln sich.
Wiederkehrende Passagen werden der Rezipientin zunehmend vertrauter und obwohl sie semantisch inkorrekt sind, trägt das Gehirn die Zusammenhänge mit; es verlängert Satzketten im Stillen sinngebend und gibt sich, wenn der Text doch eine widersinnige Wendung nimmt, flexibel. Es geht mit dem Sinn – gone with the sin – das müde Gehirn lehnt die falsche Brücke nur halbherzig ab und lässt sich schon von der nächsten Sinn-Umleitung forttragen. (3) Die als Teil der Installation den Raum erfüllende Soundaufnahmen gesprochener Smartphonetexte intensivieren das beobachtete Phänomen – der Singsang lullt die Rezipienten ein.
Das zeitgleiche Mitlesen weiterer Texte auf einer Art Teleprompter, bei dem die Satzteile nicht zu mehreren über den Bildschirm ziehen, sondern sich nacheinander einzeln und eng getaktet, in der Bildmitte ablösen, verdichtet die Atmosphäre aus Sinnfragmenten, die den Betrachter umnebelt.
Die unterschiedliche Aufarbeitung der generierten Texte und ihre anschließende Anordnung in der Installation forcieren eine bestimmte Rezeption beim Betrachter. Alle Versuche, das Vokabular des Smartphones zu sortieren, werden gemeinsam präsentiert und überlagern sich zu einer Kulisse, in welcher der Betrachter sich zwar mit Details beschäftigen kann, die Übersicht über die Strukturen ihm jedoch verwehrt bleibt. Ständig verliert sich das Denken in zahllosen Assoziationen, die die Erkenntnisse über den untersuchten Algorithmus paralysieren. Es werden zwei unterschiedliche Denkweisen gegeneinander ausgespielt.
Daniel Kahnemann unterscheidet zwischen zwei Teilen im Gehirn: System 1 und System 2. „System 1 arbeitet automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Steuerung. System 2 ist bewusst gesteuert, anstrengend und arbeitet langsam, kann damit aber schwierigere Probleme lösen wie zum Beispiel komplexe Berechnungen.“ (4)
System 1 verarbeitet laufend alle Inputs und präsentiert die Lösungen ohne großen Aufwand. System 2 wird erst hinzugezogen, wenn System 1 etwas Ungewöhnliches bemerkt oder wenn es willentlich aufgerufen wird. Die Rezeption der Installation geschieht für den kurzen Bruchteil eines Moments mühelos durch System 1, gefolgt von einem Moment der Irritation. System 1 erkennt, dass die gefälligen Wortketten fehlerhaft sind und keinen inhaltlichen Sinn vermitteln können. System 2 wird eingeschaltet und versucht die dargebotenen Fassungen der Handytexte zu analysieren. Doch System 2 ermüdet schnell. Es kann nur beschränkt Input verarbeiten und sich nicht besonders gut fokussieren. Die vielen Eindrücke überfordern System 2 und es gibt die Wahrnehmung wieder an System 1 ab. Dies kann in schnellem Wechsel passieren. Wenn System 1 aktiv ist, erzeugt es fortlaufend neue Assoziationen und Bilder beim Betrachter. Diese hemmen die kühlen Überlegungen von System 2, der Prüfinstanz. Die Wahrnehmung wird träge und es bleiben kaum Ressourcen für die Untersuchung des Algorithmus. Wiederholungen und Ähnlichkeiten zwischen den Wortfolgen hemmen den Einsatz von System 2 zusätzlich, da wiederholte Erfahrungen sich vertraut anfühlen – was ein Trigger für System 1 ist. (5)
Je länger sich die Betrachterin mit dem Material auseinandersetzt und die Sprachgesetze der Software zu verstehen versucht, desto mehr macht ihr die Komplexität des Materials zu schaffen. Der Verstand folgt den oberflächlichen Strukturen und lässt sich träge von immer neuen Wortfolgen mitnehmen. Die „Écriture Automatique“ des Smartphones fertigt der Betrachterin eine Welt, in der sie sich verlieren kann. Der Algorithmus bleibt ihr aber verborgen.
(1) Bzw. der Rezipient.
(2) Nach dem Infinite-Monkey-Theorem, vgl. Émile Borel: „Mécanique Statistique et Irréversibilité“. Paris 1913, S. 189–196, welches besagt, dass wenn man unendlich viele Affen hätte, die ausreichend lange an Schreibmaschinen säßen, einer dieser Affen durch Zufall auch mal dazu kommen könnte, Shakespeares Hamlet zu schreiben, dann könnten auch abertausende von Affen, die alle die Wortvorschläge eines Smartphone-Algorithmus antippen würden, Texte schreiben, die sich irgendwann statistisch gesehen wieder glichen – allein schon wegen der begrenzten Anzahl der Wörter in der deutschen Sprache.
(3) Sic; Gone With The Sin, Liedtitel der Band HIM auf dem Album Razorblade Romance, Rockfield u.a. 2000.