(labora)³
Lara Diehm, Carolin Kühlmann, Maya Marschner
Künstlerisches Konzept:
Im Mittelpunkt der theoretischen und praktischen Auseinandersetzung, der für die Jahresausstellung 2019 eingereichten Außenarbeit (labora)³, steht die Architektur des Gebäudeflügels des Neubaus an der Akademie. Das Konzept von (labora)³ reflektiert durch architektonische Intervention und performative Aktion das (künstlerische) Arbeiten an sich, das Arbeiten und Leben an der Akademie, sowie die Wechselwirkung mit der bestehenden Architektur, im Sinne psychogeografischer Wahrnehmungen.
Über die Architektur und den Innenhof als Ausgangspunkt
Der im Fokus stehende Neubau der Kunstdidaktik und Kunstgeschichte ist Teil der drei neu erbauten Gebäudetrakte, die als Erweiterung der bereits bestehenden Architektur von Sep Ruf (1956), 2012 auf dem Akademiegelände gebaut wurden. Die sich in Funktionalität und Ästhetik stark von der ursprünglichen Bauhaus-Philosophie unterscheidende Architektur, bietet vielerlei Ansätze für Gedanken im Bezug auf Architektur und die damit verbundenen alltäglichen Verhaltensmuster der Akteur*innen. Welchen Einfluss hat die Architektur auf Verhalten, Empfinden und Handlungsoptionen der Menschen, die sich in das Gebäude begeben?
Ausgangspunkt von (labora)³ bildet der Innenhof des Didaktiktraktes, sowie der Glasgang, an welchen Seminar-, Büro- und Nutzräume angrenzen. Das Negativ des Gebäudekomplexes bildet ein rechteckiger Innenhof. Die durchgehend verglaste Fassade wird rhythmisch durch Fensterstreben gegliedert. An den kurzen Seiten führen gläserne Doppeltüren in den Hof, die langen Seiten bilden je sechs gleichgroße Fenster.
Zentral positioniert im Innenhof befindet sich eine quaderförmige Bank aus einem massiven Betonsockel mit obenauf liegenden Holzleisten als Sitzfläche. Wie eine Spiegelachse trennt die Bank den Raum in zwei nahezu gleiche Hälften. Das einzige “natürliche” Objekt des Hofes macht den Unterschied. Ein feingliedrig und fragil wirkender Baum steht lediglich in einem Steinbeet, von dem die Bank gesäumt wird. In den groben Steinen des Beets liegen eingelassene glatte Pflastersteine, die als Zugang zur Sitzbank über die unebene Fläche fungieren sollen. Den Besucher*innen des Hofes wird also von der Architektur vorgeschrieben, wie sie den Ort zu bespielen haben: Vorgegebene Wege und eine unverrückbare monolithische Sitzfläche. Weiter ist man als Besucher*in des Hofes aus jeder Position des Ganges im Gebäudetrakt sichtbar und somit ständig möglicher Beobachtung ausgeliefert. Dieses Bewusstsein der potentiell permanenten Observation wirkt sich negativ auf das sozial-emotionale Raumgefühl aus und lässt den Innenhof zu einem toten Raum werden. Was in der Architekten-Konzeption wahrscheinlich an die ruhige Idylle eines klösterlichen Kreuzganges oder Zen Gartens angelehnt sein sollte, stellt sich in der Nutzung im Hochschulalltag eher als ein tristes Misskonzept heraus.
Über den Eingriff in die bestehende Architektur und das Setting zu Beginn der Performance
Auf der langgestreckten Bank, liegen Werkzeuge bereit: Zwei auf Teleskopstangen angebrachte Malerrollen und ein Besen. In der Ecke vor der bemalten Stirnseite steht eine große Wanne mit Wasser.
Die bereits mit Buttermilch eingestrichene Stirnseite des Hofs, an der sich im Lot der Durchgang zwischen dem angrenzenden Neubau und der Aula des Altbaus erstreckt, beeinträchtigt bereits die sonst freie Sicht auf den Innenhof. Die umlaufende Glasfront wird zusätzlich auf mittlerer Höhe an der langen Fassadenseiten, diagonal gegenüberliegend, in der Einheit von je einem Fenster, mit Buttermilch gestrichen sein (siehe Foto). Gewohnte Spiegelungen in den Fensterscheiben bleiben aus, die Durchsicht zur anderen Seite des Gebäudes ist verwehrt.
Einblick in den Innenhof erhalten Betrachter über die noch freien Glasfenster. In die gleichmäßige Bemalung an der Stirnseite sind zwei schlitzartige Aussparungen eingelassen. Die semitransparente Spiegelfolie, welche sie füllt, ist vor ihrer bevorstehenden Enthüllung noch mit Schichten aus Tape verdeckt.
Über die Performance
Die drei Performerinnen begeben sich in ihrer Alltagskleidung in den Innenhof und verschließen die Tür von innen. Performerin A und B beginnen die Tapes an der Fensterscheibe abzuziehen, während Performerin C den Boden auf einer Seite der Bank zu kehren beginnt. Nachdem das Tape abgezogen und die Sicht für Betrachter*innen im Gang an der Frontseite durch einen Beobachtungsschlitz möglich ist, bleibt die Sicht für die Performerinnen durch die Verspiegelung der angebrachten Folie in umgekehrter Blickrichtung versagt.
Nun widmet sich Performerin C dem Streichen / Malen einer Fensterscheibe (an der Längswand auf Höhe der Bank) mit Buttermilch, während Performerin B mithilfe der Malerrolle die Buttermilch auf der diagonal gegenüberliegenden Fassade mit einer in Wasser getränkten Malerrolle wieder abnimmt. Performerin A kehrt den Boden. Nach Beendigung der Malereivorgänge, wechseln die Performerinnen erneut ihre Positionen und wiederholen die Malereiarbeiten seitenverkehrt. Es entsteht ein Arbeitskreislauf, zu dessen Zwischenergebnis der optisch nahezu identische Zustand frisch gestrichener aber noch nicht getrockneter und vormals gestrichener und nun wieder abgewaschener Buttermilch gehört. Im Endzustand der Performance wird eine exakte Spiegelung der diagonalen Flächen entstehen. Die mit Buttermilch gestrichene Seite wir nun diagonal gegenüberliegend sein, wohingegen die einst bestrichene Fensterwand wieder freigelegt sein wird. Am Ende der Performance schließen die Performerinnen die Tür auf und gehen durch den Gang des Traktes ins Freie.
Aus dem Innern dieses, für Besucher*innen nicht begehbaren installativen Bühnenbilds dringt kein Laut, der sich zuweilen unterhaltenden Performerinnen. Der Innenhof scheint alle Geräusche zu verschlucken.
Lediglich in dem, den Hof umschließenden Gang, ist das Surren eines unermüdlich arbeitenden Staubsaugerroboters zu hören, der die Gänge auf- und abfährt. Seine Oberseite ziert ein Laser, dessen Muster von den Architekturelementen in unterschiedlichsten Formen reflektiert wird.
Drei im Boden eingelassene Verkleidungen stellen durch ihre Beschichtung mit Spiegelfolie weitere Elemente der Arbeit dar.
Die Projektion eines Kreuzrippengewölbes erhellt die Decke des dunklen Gangabschnittes, der sich wie ein Wurmfortsatz an der, dem Durchgang gegenüberliegenden Seite anschließt.
Über (labora)³
Die Arbeit geht einerseits auf den physischen / geometrischen Raum ein und spannt zugleich einen Gedankenraum zweiter Ebene auf, der durch die Ermächtigung einer Gruppe von drei Personen entsteht, in dessen Mittelpunkt (Handlungs)Formen künstlerischer Praxis mit Werkzeugen des Facility Management und der Maler(ei)arbeit kombiniert werden. Der Raum und die räumliche Ordnung von Innen /Außen / Performer / Betrachter / physischer Raum / sozialer Raum / Raum der Allgemeinheit / Raum der Gruppe oszillieren.
Neu strukturiert wird der Innenhof durch die Aktivitäten der Performerinnen und durch die Beziehung, welche die Performerinnen zum / mit dem Raum und miteinander eingehen. Ein relational konzipierter Raum.
Beide Arten von Aktivitäten, das Handeln der Betrachter und die Performer untereinander bringen unterschiedliche Zeitlichkeiten hervor. Wie verhalten sich Standpunkte, die Anordnung von Flächen sowie menschliche Interaktion zueinander? Es entsteht ein neues Differenzsystem im Spiegel der Architektur.
Die körperliche Abwesenheit der Performerinnen im Glasgang und die geschützte Betrachter*innenperspektive, ohne Regeln wie diese*r sich verhalten soll führt zu einem andersartigen Sehen und Verhalten beim Rezipieren und im Umgang mit den anderen Betrachter*innen. Ein freies Erlaufen der Performance, das Suchen nach dem perfekten Betrachterstandpunkt, das Spiegeln der Betrachter im Glas, das ständiges (Ver)setzen von Innen und Außen, ... ein Prozess der Kommunikation und zugleich eine Besucherperformance. Kein eingefrorener Raum, ein bewegter Raum.
Im performativen Prozess wird auf das „Neu–Anordnen“, die Gegenüberstellung, Synthese und Überkreuzung von Wand, Glas/Fenster und Bodenflächen sowie Arbeitsräumen Bezug genommen. Erschlossen durch den performativen Akt der Malerei, wird der Raum stets neu verhandelt - Innen und Außen - werden Blickachsen gebrochen und neue Raumgefüge erschaffen. Die in Relation zueinander dargelegten Dichotomien der sozial/emotionalen Erfahrungen im architektonischen Raum, werden in der Performance ihre Eindeutigkeit in Frage stellen und Zwischentönen durchblicken lassen.
Dies bezieht sich zum einen auf den erzeugten sozialen Raum, der durch Interaktion und Interdependenz mit der Architektur aufgespannt wird und zum anderen auf den rein architektonischen Raum des Didaktiktraktes, der ebenso eine Zweigliedrigkeit aufweist: innen - außen, offen - geschlossen; nah – fern; gebaut / bebaut / umbaut / unbebaut / falschgebaut; welche uns zu Leitdifferenzen bei der Raumanalyse des Didaktiktraktes führen. Hierbei wird die Kopräsenz der räumlichen Konstellation von Gang – Innenhof – Handlungsraum - Handlungsspielraum fokussiert und thematisiert und mittels interventiven Eingriffen auf Flächen durch Buttermilch und Spiegelfolie, gezielt in Frage gestellt.
Ein transitorischer Handlungsraum, der von und mit dem „Ich“ und den Akteuren*innnen der Akademie – Studierenden, Dozent*innen, Mitarbeiter*innen, Reinigungspersonal und Besucher*innen – produziert und reproduziert wird. Ein Raum der Kontrolle, Disziplin, Freiheit, Langeweile, des Kampfes und Scheiterns, der Routine und Isolierung, belebt durch das Kollektiv der Kunstakademie, in welchem sich das künstlerische Subjekt positioniert.